Die Ausstellung Verso im Kunstmuseum Basel macht sichtbar, was sich auf den Rückseiten von Gemälden aus dem 14. bis zum 18. Jahrhundert verbirgt. 36 Kunstwerke aus der hauseigenen Sammlung werden in Rahmen gezeigt, die eigens für diese Präsentation entwickelt wurden und dank denen erstmals beide Seiten der Gemälde betrachtet werden können.

Verso enthüllt dem Publikum verborgene Ansichten, die normalerweise dem forschenden Museumspersonal vorbehalten sind, und offenbart, in welchen Kontexten und Funktionen die Gemälde verwendet wurden. Die Ausstellung ermöglicht damit neue Perspektiven auf hinlänglich bekannte Kunstwerke. In den Ausstellungsräumen im Untergeschoss des Kunstmuseum Basel, Neubau entfaltet sich in acht Kapiteln eine Fülle von Beobachtungen. Da die meisten doppelseitig bemalten Werke im Museum ursprünglich Flügel von katholischen Wandelaltären waren, wird anhand von zwei vollständig erhaltenen Beispielen aus dem 16. Jahrhundert zunächst das Wesen dieses Möbels erklärt, das in Gottesdiensten seine Anwendung fand.
Altäre und Porträts
Daran anschliessend wird eines der wichtigsten Themen von Altarbildern vertieft: die Heiligen der katholischen Kirche und die verschiedenen Weisen ihrer Darstellung. Auch werden einige bemerkenswerte Kunstgriffe gezeigt, die bei der Gestaltung von Altarflügeln Anwendung fanden. So weist etwa ein Flügel aus der Werkstatt des Künstlers Konrad Witz mit einem gemalten Schreinkasten auf der Aussenseite darauf hin, dass sich im geschlossenen Zustand dahinter tatsächlich ein Schrein befand. Das Verhältnis von Malerei und Skulptur am Wandelaltar wird anhand eines Altarflügels illustriert, der für die Anbringung von Reliefs präpariert wurde, die heute jedoch verloren sind. Weiter werden verschiedene Arten dekorativer Malerei vorgeführt: von einer mit Rankenwerk geschmückten Rückseite über solche, die mittels Marmorierung die Illusion von Steinplatten hervorrufen, bis hin zu Rückseiten mit Mustern aus Buchstaben.
Auch Porträts wurden häufig beidseitig bemalt. Hier war die Rückseite meist ein geeigneter Ort für die Anbringung von Wappen, welche die Dargestellten identifizieren helfen. Der heute vernachlässigten Kunst der Heraldik (Wappenkunde) ist dementsprechend eine weitere Sektion der Ausstellung gewidmet. Bei den bis hierhin genannten Beispielen wurden die Malereien auf Vorder- und Rückseite gleichzeitig ausgeführt. Vielfach ist aber auch zu beobachten, dass eine Rückseite nachträglich bemalt oder ihre ursprüngliche Bemalung durch eine andere ersetzt worden ist. Unter den vier Beispielen dafür aus dem Sammlungsbestand ist das zweiteilige Doppelbildnis des Basler Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen und seiner Ehefrau der spektakulärste und instruktivste Fall. In der Komposition von Hans Holbein d. J., von diesem 1516 datiert, funktioniert die Bildperspektive nur, wenn die beiden Tafeln eng nebeneinander angebracht sind – etwa in einem starren gemeinsamen Rahmen mit einer Mittelleiste. Vier Jahre später liess Jacob Meyer jedoch von einem anderen Maler sein Wappen auf die Rückseite aufbringen und sogar separat datieren. Zu diesem Zeitpunkt müssen die beiden Bildtafeln klappbar miteinander verbunden gewesen sein: Im zusammengeklappten Zustand hätte die Wappenseite wie ein Buchdeckel mit Titel signalisiert, was sich dahinter verbirgt. Inschriften und aussergewöhnliche Fälle Künstlerische Gestaltung von Rückseiten muss nicht unbedingt gemalt bedeuten; auch Inschriften können ein Werk auf- und umwerten. Das zeigt zum Beispiel das Porträt eines unbekannten niederländischen Meisters mit einer nachträglich angebrachten Inschrift auf der Rückseite. Der Dargestellte, angeblich ein Adeliger namens Johann von Bruck, war 1544 aus den Niederlanden nach Basel gekommen, weil er aufgrund seines Glaubens verfolgt wurde. Erst zwei Jahre nach seinem Tod im Jahr 1556 wurde bekannt, wer der fremde Adlige tatsächlich gewesen war: der im Heiligen Römischen Reich lange vergeblich gesuchte Ketzer David Joris, ein Wiedertäufer und Sektenführer.
Nach den postumen Enthüllungen über das Doppelleben des von Bruck/Joris liess der Rat der Stadt Basel das Porträt 1559 beschlagnahmen und durch die Inschrift zum Mahnmal umfunktionieren. Dort wird sogar von dem postumen Ketzerprozess berichtet, in dessen Verlauf man Joris› Leichnam exhumieren liess und auf dem Scheiterhaufen verbrannte.
Den Abschluss der Ausstellung bilden drei besondere Fälle, in denen Künstler bewusst auf das Verhältnis von Vorder- und Rückseite eingehen:
- Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wählte der Stilllebenmaler Pieter Snyers die hundert Jahre ältere Druckplatte eines Kupferstichs als Bildträger aus. Die Platte war beschädigt, so dass davon keine Drucke mehr abgezogen werden konnten. Die glatte Rückseite eignete sich aber hervorragend für Snyers› feine Malerei.
- 1516 schufen die Brüder Ambrosius und Hans Holbein d.J. gemeinsam ein Pseudo-Ladenschild, das so aussah, als sollte es vor der Stube eines Lehrmeisters hängen. Es war als bildungsbürgerlicher Scherzartikel wohl als Abschiedsgeschenk für ihren Freund und Lehrer Oswald Geisshüsler, genannt Myconius, gedacht.
- Und 1517 kreierte Niklaus Manuel Deutsch ein Trompe-l’œil (eine Täuschung): Seine dünne Tafel hat das Aussehen einer für diese Zeit typischen Hell-Dunkel-Zeichnung auf farbigem Papier. Und wie eine Zeichner/in ein Blatt häufig von beiden Seiten benutzt, so hat auch hier der Maler die Rückseite mit einer noch spektakuläreren Darstellung als jener der Vorderseite versehen.
pd
Die Ausstellung
Verso. Geschichten von Rückseiten vereint Werke von Hans Baldung genannt Grien, Hans Bock dem Älteren, Jacob Cornelisz. van Oostsanen, Lucas Cranach dem Älteren, Hans Fries, Hans Holbein dem Jüngerem, Ambrosius Holbein, Wolfgang Katzheimer dem Älteren, Niklaus Manuel genannt Deutsch, Hans Pleydenwurff, Jan Polack, Pieter Snyers, Tobias Stimmer, Konrad Witz und weiteren aus der Sammlung des Kunstmuseums Basel.
1.2.2025 bis 4.1.2026
im Neubau im Kunstmuseum Basel
www.kunstmuseumbasel.ch