«Kunsthandwerk Weben ist gefragter denn je»

    Seit über 40 Jahren steht bei der Familie Grädel in ihrem Unternehmen Spycher-Handwerk AG im bernischen Huttwil die Wollverarbeitung im Fokus. Der grosse Laden bietet alles, was man sich zum Thema Wolle vorstellen kann. Der Aufwärtstrend für die Handarbeit steigert auch das Interesse für das uralte, bäuerliche Handwerk Weben und Spinnen. Der Familienbetrieb, der sich voll und ganz der Nachhaltigkeit verpflichtet hat, bietet zahlreiche Kurse an zum Thema Wollverarbeitung, die alle Themen vom Spinnen der Wolle bis zum Färben, Filzen und Weben behandeln.

    (Bilder: CR) Innovative Handarbeitsgeräte: Priscilla Grädel demonstriert ein modernes Spinnrad.

    Wollverarbeitung ist das Handwerk der Familie Grädel auf dem Bauernhof «Untere Bäch» im bernischen Huttwil. Sie verarbeitet seit 1981 auf ihrem Familienbetrieb Schaf-, Alpaka-, Lama- und andere Wolle. Dabei entstehen Filz- und Spinnwolle oder eine warme Bettdecke. Während Handarbeitstechniken wie Spinnen, Weben oder Filzen damals gross im Trend waren, haben sie sich inzwischen etabliert, sind dann teilweise aus dem Hobbykeller wieder verschwunden, um ein Revival zu erleben. «Handarbeiten aus Wolle und Garn sind über die letzten Jahrhunderte hinweg niemals wirklich aus der Mode gekommen. Das kreative Handarbeiten hat wohl durch Corona einen neuen Schub bekommen. Die Leute sind wieder kreativer und sensibilisiert für Selbstgemachtes aus dem Naturprodukt Wolle», erklärt Priscilla Grädel, die den Bereich Kleider, Wolle, Verarbeitungsgeräte usw. leitet. Kreativität ist gefragter denn je und damit auch die Kunst des Webens und Spinnens. «Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt», so Priscilla Grädel. Ein Gang durch die Handarbeitsabteilung des Spycher Handwerkes bestätigt dies – das Sortiment ist bunt und breitgefächert: Kardwolle, Merinowolle, Garne etc. und weitere Naturmaterialien werden in Hülle und Fülle in allen Farbschattierungen angeboten. «Momentan sind bunte Farben, Neonfarben und Muster in den verschiedensten Varianten und Formen mit Streifen und Punkten gefragt.» Mit der kuschelweichen Wolle und atmungsaktivem Garn lassen sich im Handumdrehen echte Kunstwerke zaubern und fantasievolle Ideen werden zur Wirklichkeit. Zum Angebot gehören auch handgewobene Teppiche aus Siebenbürgen sowie individuell auf Kundenwunsch kreierte Teppiche aus einem Schweizer Betrieb.

    Grosses Angebot an Naturfasern.

    Spinnrad und Webstuhl sind wieder in
    Die Familie Grädel kann ebenso mit ihrem breiten Angebot an «Kreativgeräten» aus dem Vollen schöpfen. Nur wenige Betriebe verkaufen eine solche Vielfalt an Spinnräder und Webstühlen. Entsprechend kommen die Kundinnen und Kunden aus der ganzen Schweiz nach Huttwil. Die Geräte sind hauptsächlich aus Holz gefertigt und stammen von Lieferanten aus Holland und aus Neuseeland. Die Handarbeitsgeräte haben sich im Lauf der Zeit weiterentwickelt und auch die Digitalisierung hat keinen Halt vor ihnen gemacht. «Mittlerweile gibt es elektrische Spinnräder, computerprogrammierte Webstühle sowie Reisespinnräder und zusammenklappbare Webrahmen, die möglichst wenig Platz benötigen», weiss Priscilla Grädel, die sich bestens mit diesen Geräten auskennt. Im Verkauf inbegriffen ist auf Wunsch auch Lieferung und Montage der grossen Webstühle.

    Das Handwerk erlebt ein Revival: Webstühle und andere Verarbeitungsgeräte sind sehr gefragt.

    Wunderprodukt Wolle
    Die Spycher-Handwerk AG ist mit ihren Naturprodukten am Puls der Zeit und kann mit dem Produkt à la Swissmade aus dem Vollen schöpfen. Auf dem Bauernhof «Untere Bäch» werden jährlich rund 70 Tonnen Schweizer Wolle verarbeitet. «Der Grossteil stammt von Schafhaltern, die uns die Wolle direkt anliefern. 500 bis 600 Kilogramm Wolle stammen von unseren Schafen», so die junge Frau. Die Wollqualität der acht verschiedenen Schafrassen ist unterschiedlich. Rund 100 Schafe leben auf dem Hof und 300 Merinoschafe werden extern von einem Bauer gehegt und gepflegt.

    Ein Erlebnis für die Besucherinnen und Besucher ist der Weg der Wolle, wo sie die Verarbeitung vom Waschen, Färben und Kardieren bis hin zum Weben, Spinnen und Stricken hautnah miterleben können.

    Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

    Die über 100-jährigen Maschinen sind noch täglich im Gebrauch. Nach der Schafschur wird die Wolle nach Qualität sortiert, gewaschen und zu einem Vlies kardiert. Zahlreiche Arbeitsabläufe in der Produktion vom Rohstoff zum Wollprodukt sind urtümliches Handwerk. Die Liebe zum Detail zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Verarbeitungs- und Herstellungsprozess. So wird die Wolle vor Ort gesammelt und von Hand sortiert. Die beste Qualität wird in Belgien gewaschen – in der Schweiz gibt es keine industrielle Wollwäscherei mehr – und wird zum Verkauf und zu Bettwaren verarbeitet. Eine mindere Klasse an Qualität wird weiterverkauft ins Baugewerbe für Isolationen und die sogenannten Abresten werden für Dünger benötigt.

    Wolle ist ein vielseitiges Naturprodukt, das als Produkt im Alltag über grosse Vorteile verfügt wie beispielsweise über eine ausgezeichnete Temperatur- und Feuchtigkeitsregulierung. Sie nimmt Feuchtigkeit auf, ist atmungsaktiv sowie schmutz- und wasserabweisend. «Kleider aus Wolle sind komfortabel zu tragen und fühlen sich wollig warm und kuschelig an.» Aber auch Wolle in allen Stadien, kardiert in allen Farben zum Basteln und Spinnen, oder verarbeitet als edler Wollknäuel und vieles mehr gibt es bei «Spycher» zu kaufen. Für Priscilla Grädel und ihr Team gehört zu einem weitsichtigen Leben das Wissen und die Liebe zum Produkt. Gerne gibt sie dies ihren Kundinnen und Kunden weiter und nimmt sie mit in das faszinierende Reich der Wolle und der Naturmaterialien.

    Kunsthandwerk und Kreativität neu entdeckt: Priscilla Grädel und Kursleiterin Ursula Vergés zeigen ihr selbstgewobenes Tuch.

    Kurse sind beliebt
    Wer wissen möchte, was man mit Wolle alles machen kann, ist bei der Spycher-Handwerk AG genau richtig. Kompetente und kreative Kursleiterinnen führen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Kunst des Spinnens, Webens und Filzens (vgl. Kasten) ein. «Bei uns sind Halbtages- oder Tageskurse möglich», so Priscilla Grädel. Ebenso besteht die Möglichkeit, einen einwöchigen Wollverarbeitungskurs zu besuchen inklusive Übernachtung im Hotel oder im Sommer in der Jurte. Die Kurse finden auf dem Hof im Seminarraum statt und sind mit fünf bis zehn Personen pro Gruppe bewusst klein gehalten. «Unsere Spezialistinnen können so individuell auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen», sagt Priscilla Grädel. Ihr ist auch wichtig, dass die Theorie in die Praxis umgesetzt wird und die Kurse so lebendig gestaltet sind. «Weben und anderes Kunsthandwerk bieten unendlich viele Möglichkeiten, sich kreativ auszudrücken», erklärt Ursula Vergés, die den Webkurs leitet. «Die Arbeit mit verschiedenen Materialien bringt darüber hinaus neue Sinneserfahrungen mit sich, die den Geist anregen.»

    Corinne Remund


    Wolle Filzen: Filz ist ein textiles Flächengebilde aus einem ungeordneten, nur schwer trennbaren Fasergut. Es handelt sich beim Filz um eine nicht gewebte Textilie. Die tierischen Fasern haben eine schuppige Oberfläche. Die einzelnen Fasern lassen sich durch deren Widerhaken verfilzen.
    Man unterscheidet zwei Filztechniken: Beim Nassfilzen werden die Wollfasern mit Hilfe von Wasser, Seife und Reibung verfilzt. Die Nassfilztechnik wird zur Herstellung von grösseren, flächenartigen Objekten eingesetzt. Hüte, Kleider, Schuhe und Kugeln können gut durch diese Filztechnik hergestellt werden. Auch zum Gegenstände einfilzen eignet sich die Nassfilztechnik.
    Beim Trockenfilzen werden die Wollfasern durch eine Filznadel verfilzt. Das Trockenfilzen wird vor allem zur Herstellung von kleinen Figuren oder Gebilden verwendet. Mit der Nadel ist es relativ einfach, dem Objekt eine Form zu geben.

    Spinnen: Beim Spinnen werden mehrere Fasern zu einem Faden gedreht. Die Möglichkeiten beim Spinnen sind ungeahnt vielfältig. Man kann zum Beispiel verschiedenartige und verschiedenfarbige Fasern abwechslungsweise miteinander verspinnen.

    Weben: Weben ist eine traditionelle Technik, bei der man lange Fäden, die sogenannten Kettfäden, auf einem Rahmen straff spannt. Quer dazu werden die Schussfäden eingeflochten, was mit einem kleinen Werkzeug, dem Schiffchen, gemacht wird. So entstehen Stoffe und Textilien.


    Spycher-Handwerk AG
    Bäch 4, 4950 Huttwil
    Tel. 062 962 11 52
    info@kamele.ch
    www.spycher-handwerk.ch

    Öffnungszeiten Laden:
    Montag bis Freitag: 8 bis 12 und 13.30 bis 18 Uhr
    Samstag: 8 bis 16 Uhr

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