Der Verein Faire Märkte Schweiz FMS schafft fairere und gerechtere Märkte, in denen ein förderlicher Wettbewerb im Interesse aller Akteure, insbesondere auch der schwächeren Vertragspartei, sichergestellt und letztlich die Transformation hin zu nachhaltigeren Märkte ermöglicht wird. Dr. Stefan Flückiger, Vorstandspräsident des Vereins Faire Märkte Schweiz, stellt das erfolgreiche Engagement vom FMS im Detail vor, gibt einen Überblick über die diversen Kampagnen und Aktivitäten.

Der Verein Faire Märkte Schweiz hat vor zwei Jahren eine Melde- und Beratungsstelle lanciert. Welche Bilanz können Sie ziehen?
Dr. Stefan Flückiger: Die Entwicklung ist sehr erfreulich, weil die Betriebe immer häufiger den Mut aufbringen, sich beim FMS zu melden. Im Jahr 2024 waren es 60 Meldungen. Da wegen der Tiefpreisstrategie verschiedener Abnehmer der Druck zugenommen hat, nehmen in diesem Jahr die Meldungen zu. Wir gehen allen Meldungen nach und stellen so fest, wo der Schuh effektiv drückt: Gleichzeitig haben wir das Angebot ausgebaut: Seit Frühjahr führen wir eine Meldestelle Gastronomie und kooperieren mit dem Bäuerlichen Sorgentelefon. Wöchentlich kommen seither nicht eine, sondern zwei bis drei Meldungen zu uns. Nicht alle per Telefon, sondern auch per Mail oder Formular (Webpage). Im 2025 werden es wohl doppelt so viele werden wie im 2024.
Der FMS will den Missbrauch von Marktmacht bekämpfen und faire Märkte schaffen. Welche Idee steckt konkret dahinter?
Wir haben fünf strategische Ziele: förderlicher Wettbewerb, überhöhte Konsumentenpreise vermeiden und angemessene Produzentenpreise erzielen, Wandel hin zu nachhaltigen und tiergerechten Ernährungssystemen sowie Diskussion und den Dialog in der Gesellschaft zu Fairness und zukunftsweisenden Marktsystemen. Das dritte Ziel beschäftigt uns beim FMS derzeit am meisten: Missbräuchliche Verhaltensweisen marktmächtiger Unternehmen und unfaire Handelspraktiken. Die Situation mit der Marktmacht wird heute unterschätzt, sowohl bei den Vorleistungen als auch bei den nachgelagerten Stufen. Die Bauern und kleinen KMU sind in der «Sandwich-Position» und somit am kürzeren Hebel. Sie können sich gegen die internationalen Konzerne und die marktmächtige Fenaco und gegen die marktmächtigen Grossverteiler immer weniger durchsetzen und stehen deshalb unter einem enormen Druck. Der FMS zeigt entsprechende Fälle transparent auf und fordert sowohl gegenüber den Marktakteuren als auch gegenüber der Politik mehr Fairness in den Märkten.

In einer ersten Phase haben Sie sich auf Agrar- und Lebensmittelmärkte fokussiert. Wie beurteilen Sie als Agrarökonom die Lage zurzeit und wird sie durch die momentan fragile Weltlage noch verschärft?
Die fragile Weltlage verschärft die Herausforderungen auf den Agrar- und Lebensmittelmärkten zusätzlich, da sie Lieferketten stört und Unsicherheiten auf den Märkten verstärkt. Zudem hat die Marktmachtsituation zugenommen, da grosse Unternehmen verstärkt versuchen, ihre Interessen durchzusetzen und dadurch Wettbewerb und Preisbildung weiter zu beeinflussen. Wie beschrieben hat der Druck von Seiten des Marktes zugenommen, was auch durch die Tiefpreisstrategie von relevanten Akteuren in der Schweiz erfolgt ist. Der Druck kommt nun langsam bei den Bauern an.
Wird den Produzenten die generierte Wertschöpfung aufwandgerecht und fair in Ihrem Sinne entschädigt oder was haben Sie bis jetzt erreicht?
Unser grösstes Ziel haben wir erreicht, indem wir mit zum Thema Fairness und Marktversagen sensibilisieren und entsprechende Fälle von Unfairness transparent aufzeigen konnten. Obwohl Produzenten- und Branchenorganisationen nur noch bedingt unterstützend wirken, lässt sich der Verdienst von Faire Märkte Schweiz aufzeigen, dass sowohl im Markt wie in der Politik die Fairness ein gleichberechtigtes Element der Nachhaltigkeit geworden ist. Vorher sprach man über den fairen Handel mit Ursprung im Süden, heute stehen die Schweizer Märkte im Fokus. Was wir betreff der fairen Preisbildung und aufwandgerechten Bezahlung erreicht haben, wird die Zukunft zeigen müssen. Ein Beispiel dafür ist, dass nach unserer Intervention mit dem Self-Check in einem Schlachtviehmarkt eine Woche später die Preise überaus deutlich um 40 Rp pro kg Schlachtgewicht gestiegen sind. Dies ist ein klarer Beweis, dass sich die Abnehmer der unfairen Situation bewusst waren, und den Produzenten einen zu tiefen Preis bezahlt haben. Da geht es immer um beträchtliche Beträge für die Landwirtschaft.
Wie ist der Grundtenor im Dialog in Gesellschaft und Politik bezüglich Fairness und Nachhaltigkeit?
Der Dialog mit der Gesellschaft ist sehr positiv, weil sich viele Personen gegen die Unfairness in den Märkten wehren wollen und es unter anderem auch die Güter des täglichen Bedarfes betrifft. Auch in der Politik haben wir viel bewegen können, weil das Thema des Marktversagens und des Marktmachtmissbrauches bei den Politkern langsam angekommen ist. Ganz unterschiedlich ist die Reaktion in den Branchen. Die Bauern und kleinen Produzenten beurteilen unsere Arbeit als sehr wertvoll, weil sie von den Nachteilen des Marktes am meisten betroffen sind. Auch wenn die Verbände und Organisationen uns gegenüber grundsätzlich etwas zurückhaltend sind, so melden sich nun immer mehr auch Verbände, weil wir wegen unserer Unabhängigkeit und unserer fachlichen Erfahrung die Situation für ihre Mitglieder verbessern können. Wichtig zu sagen, es ist sehr viel Angst wegen wirtschaftlicher Konsequenzen feststellbar, deshalb ist Anonymität unser oberstes Gut.
Wie sieht Ihre interaktive Kommunikationsplattform und Ihre Vernetzung aus?
Die Kommunikationsplattform, über die der FMS-Marktmachtmissbräuche transparent macht, Analysen publiziert, Meldungen entgegennimmt und den Dialog fördert, ist zentraler Bestandteil der Arbeit. Auch die Vernetzung ist eines unserer zentralen Wirkungsziele. Der FMS ist in den Agrar- und Lebensmittelmärkten sehr gut vernetzt und kann viele Änderungen anstossen oder mittragen. In den übrigen Märkten sind wir noch etwas weniger präsent.
«lokal + fair» ist ein Projekt von FMS. Können Sie die Idee dahinter kurz erklären?
Der FMS ist national in den Märkten und der Politik aktiv. Damit der FMS gleichzeitig Veränderungen konkret auslöst da, wo die Gesellschaft lebt und konsumiert, haben wir «lokal+fair» eingeführt und zeigen der Bevölkerung in den Gemeinden alternative Marktsysteme auf. Die oben geschilderten Probleme sind unter anderem marktgemacht. Die Lieferketten werden immer komplexer und länger und somit intransparenter. Lokal+fair baut auf kurzen Lieferketten auf, womit automatisch mehr Transparenz und Fairness verbunden ist. Wir stärken die lokalen Lebensmittelnetzwerke, dazu gehören lokale Produktions-, Verarbeitungs- und Handelsbetriebe (inkl. Gastwirtschaft) und auch die Gemeinden, die zu ihren Lebensmittelnetzwerken Sorge tragen wollen.
Welche Kampagne haben Sie schon lanciert oder sind demnächst geplant?
Wir haben verschiedene Kampagnen am Laufen – bis zum 20. September 2025 ist die Kampagne 2025 von «lokal+fair» aktiv und bis zum nationalen «lokal+fair»-Tag werden noch viele Betriebe zu unserer Bewegung dazustossen. Am nationalen «lokal+fair»-Tag wird die Direktvermarktung sowie die lokale und regionale Vermarktung ganz im Mittelpunkt stehen.
Der FMS warnt: Der Bioanbau stagniert. Wieso braucht es jetzt Massnahmen aus Politik und Wirtschaft und an welche Massnahmen denken Sie?
Es geht dem FMS um die Strategie Nachhaltigkeit des Bundes, worin der Bundesrat die Ziele bis 2030 festgelegt hat. Der Bundesrat will darin die Transformation hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen voranbringen. Im 4. Ziel definiert er: «Der Anteil der Landwirtschaftsbetriebe, die besonders umwelt- und tierfreundlich produzieren, wächst im Vergleich zu 2020 um einen Drittel». Faire Märkte Schweiz hat diese Entwicklung aufgezeichnet. Als dann die Migros im Herbst die «Abkehr» von der Nachhaltigkeit verkündet hat, schlugen wir das erste Mal Alarm. Als die negative Entwicklung bei den Bio- und IP-Suisse Betrieben dieses Frühjahr klar wurde, gelangten wir an die Medien. Wir verlangen beispielsweise Zielvereinbarungen zwischen dem Bund und dem Detailhandel. Solche werden sowieso im Hinblick auf die Agrarpolitik 2030+ diskutiert. Nun verlangen wir aber ein sofortiges Vorgehen. Ausserdem fordern wir in unseren agrarpolitischen Forderungen eine grundsätzliche Besserstellung der nachhaltigen und fairen Produktionssysteme, weil diese heute immer noch benachteiligt sind.
Das Bäuerliche Sorgentelefon und die Meldestelle von Faire Märkte Schweiz gehen eine strategische Partnerschaft ein. Was sind die Vorteile und wo drückt der Schuh am meisten?
Mit unserer Erfahrung und Kompetenzen in den Märkten können wir dem bäuerlichen Sorgentelefon eine Dienstleistung anbieten, die den Betroffenen direkt weiterhilft. Dies ist für die Betroffenen kostenlos. Immer mehr Bauern oder Produzenten berichten uns über ihre schwierigen Situationen. Der Fokus der Herausforderungen in den Märkten wechselt, aktuell ist in Märkten wie dem Gemüsemarkt oder in der Gastronomie viel Unbehagen vorhanden.
Interview: Corinne Remund
lokal + fair – Tag 2025
Am Samstag, 20. September 2025 heisst es erneut: lokal + fair – Tag! In der Schweiz öffnen Betriebe ihre Türen, zeigen ihre Arbeit und laden dazu ein, Regionalität, Fairness und Nachhaltigkeit hautnah zu erleben. Ob auf dem Bauernhof, im Hofladen, am Marktstand oder im Restaurant – es ist ein Tag, der ganz im Zeichen nachhaltiger Produktion und bewussten Konsums steht.



