Die Crux mit der Mobilitätssteuerung

    Darum sind Velofahrende und Fussgänger/innen in Basel deutlich zufriedener als Verkehrsteilnehmende mit dem Auto

    Die Zufriedenheit mit der Verkehrssituation in Schweizer Städten ist im Durchschnitt hoch. Aus einer Bevölkerungsbefragung in sieben Städten, welche die Städtekonferenz Mobilität vom Institut gfs.Bern hat durchführen lassen, geht Erstaunliches hervor. Besonders im Falle von Basel. Und auch die Exponenten der Dialog-Plattform für intelligenten Verkehr AVENIR MOBILITÉ/ ­ZUKUNFT MOBILITÄT, hat zum Thema Mobilitätssteuerung einige Kritikpunkte verlauten lassen.

    Bild: Bilddatenbank Basel-Stadt Der Centralbahnplatz als Beispiel für schlechte Mobilitätssteuerung?

    Die Resultate der Bevölkerungsbefragung in sieben Städten haben ergeben, dass 63 Prozent der befragten Personen in Basel, Bern, Nyon, Freiburg, Lausanne, St. Gallen und Zürich mit der Verkehrssituation sehr oder eher zufrieden seien. Als Begründung für eine hohe Zufriedenheit wird am häufigsten die Qualität des öffentlichen Verkehrs genannt. Umgekehrt nennen die Befragten häufig ein unzureichendes Velonetz als Hauptgrund für ihre Unzufriedenheit. Die Grade der Zufriedenheit in den verschiedenen Städten sind unterschiedlich. Für die Studie wurden in den teilnehmenden Städten zwischen dem 30. August und 22. Oktober 2018 insgesamt 8020 Einwohnerinnen und Einwohner ab 16 Jahren online befragt.

    Die Zufriedenheit mit der Verkehrssituation in Basel ist gemäss Auswertungen überdurchschnittlich hoch. Fast drei Viertel der Einwohner sind sehr oder eher zufrieden. Aber der zweite Blick offenbart auch Handlungsbedarf: Bei der Zufriedenheit gibt es deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Fortbewegungsarten. So sind die Fussgänger/innen mit 85 Prozent klar am zufriedensten. Mit über 75 Prozent ebenfalls sehr zufrieden zeigt sich, wer hauptsächlich mit Öffentlichen Verkehrsmitteln oder Velo unterwegs ist. Begründet wird das vor allem mit der guten Veloinfrastruktur und der Qualität des öffentlichen Verkehrs. Trotz der vielen Begleiterscheinungen 2018 und 2019 wegen Tramgeleise-Reparaturen und Baustellen. Interessantes Detail hierzu: Nur gerade acht Prozent der Einwohner sind hauptsächlich mit dem Auto unterwegs. Basel hat sich gemäss Studie zu einer «Velostadt» entwickelt. 71 Prozent aller Bewohner haben ein Velo.

    Autofahrende machen die Faust im Sack
    Wer aber mit dem Auto in Basel unterwegs ist, macht die Faust im Sack. Nur knapp über 50 Prozent sind mit den Bedingungen zufrieden. Zu wenig Parkplatzmöglichkeiten (und wenn vorhanden sehr teuer) sind ein Stressfaktor. Interessant ist, dass offenbar dieses Problem auch von der allgemeinen Bevölkerung wahrgenommen wird. Verkehrsbehinderungen, Parkplatzmangel und Lärmbelastung seien, so die Verfasser und Analysten der Befragung, die unangenehmsten Folgen des Verkehrs. In Basel empfindet die Bevölkerung zudem überdurchschnittlich oft Gefahrensituationen mit anderen Verkehrsteilnehmern. In allen befragten Städten wird eine stärkere Gewichtung des Fuss- und Veloverkehrs begrüsst. Gefordert wird von der Bevölkerung gemäss Befragung eine eindeutige Strategie von Seiten des «Departementes Wessels» und auch deren Umsetzung.

    (Bild: Fotolia) Basel ist eine Velostadt geworden. 71 Prozent aller Bewohner haben ein Velo

    Fazit: Verkehrsbehinderungen, Parkplatzmangel und Lärmbelastung stressen die Leute in der Region am meisten. Bei der Budgetplanung für verkehrspolitische Massnahmen wünschen sich die Befragten für die Veloinfrastruktur und Aufenthaltsqualität gegenüber anderen Massnahmen mehr Mittel. Bei Massnahmen gegen Lärm- und Umweltbelastung und beim Ausbau des städtischen öffentlichen Verkehrs besteht ein tendenzieller Wunsch nach Mehrausgaben. Der grösste Teil beurteilt die aktuelle Ressourcenverteilung dort aber als gut. Weniger Geld würde eine Mehrheit für den Ausbau von Autobahnen, Hauptstrassen, Parkplätzen oder weiteren Geschwindigkeitsbegrenzungen aufwenden. Beim Unterhalt des Strassennetzes überwiegt der Spar- gegenüber dem Ausbauwunsch. Ausserdem zieht ein relevanter Anteil der Befragten in allen Städten viel öffentlichen Raum ohne Verkehr gegenüber viel Platz für ruhenden und fliessenden Motorverkehr vor. In allen Städten besteht ein Interesse an der Nutzung von Mobilitäts-Apps für das Smartphone (55 Prozent), mit denen die schnellste Route oder das beste Verkehrsmittel bestimmt werden kann. Privates Carsharing ist in allen befragten Städten ein Randphänomen. Nur jede achte Person hat ein solches Angebot bereits genutzt. Etwas bekannter sind stationäre oder stationslose Velo­verleih-Angebote.

    Umdenken bei der Mobilitätssteuerung tut Not
    Nebst der Städtekonferenz Mobilität haben aber auch Exponenten der Dialog-Plattform für intelligenten Verkehr, AVENIR MOBILITÉ/ZUKUNFT MOBILITÄT, ihre Erkenntnisse bei einem Kongress in Bern publiziert. Dabei ging es besonders um das Thema Steuerung der Mobilität. Und um die Frage, wie Erkenntnisse der Verhaltensökonomie zur Lösung der Herausforderungen im Bereich Mobilität und Verkehr beitragen können. Fazit: Kontextuelle, individuelle und psychologische Faktoren werden von Behörden und Politik bei der Steuerung der Mobilität vernachlässigt. Das könnte verheerende Folgen haben.

    (Bild: JoW) Für viele Autofahrende sind die Bedingungen in Basel nicht optimal, heisst es in der neuesten Verkehrsstudie

    Die dynamische Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung führt zu Verkehrswachstum und stellt Politik und Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Der Verkehr und die damit einhergehenden negativen Auswirkungen sind immer auch das Resultat täglicher Mobilitätsentscheide. Im Zentrum steht der einzelne Mensch und sein Mobilitätsverhalten. Entscheidend für die Lösung der Verkehrsprobleme ist deshalb insbesondere auch das fundierte Verständnis der Treiber des menschlichen Mobilitätsverhaltens. Ergänzend zu den klassisch-ökonomischen Ansätzen befasst sich die Verhaltensökonomie, die mit Richard Thaler einen Wirtschaftsnobelpreisträger stellt, mit dem oft nicht a priori rationalen Verhalten der Menschen. Mehr als 130 Fachleute aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft liessen sich im Hotel Bellevue in Bern von Verhaltensökonomen, Behördenvertretern und führenden Organisationen über den Stand der Dinge in diesem Feld informieren. Die Experten auf diesem Fachgebiet waren sich einig: Es müsse ein radikales Umdenken bei der Steuerung der Mobilität stattfinden.

    Politik und Behörden setzen vor allem auf Preis und Zeit als Steuerungsmittel
    Denn in der Schweiz setzen Politik und Behörden fast ausschliesslich auf Preis und Zeit als Steuerungsmittel des Mobilitätsverhaltens, obwohl evidenzbasierte Forschung belegt, dass viele weitere Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Verkehrsmittels spielen. Politik und Behörden in der Schweiz gingen, so wurde berichtet, immer noch davon aus, dass Menschen bei der Wahl des Verkehrsmittels hauptsächlich auf Zeiteffizienz und Kosten achten. Entsprechend würden sich die Bestrebungen zur Lenkung des individuellen Mobilitätsverhaltens vor allem auf diese zwei Faktoren konzentrieren. So bekämen Debatten wie beispielsweise jene über Pendlerabzüge, dynamische Billettpreise oder Parkplatzgebühren jeweils immer mehr Gewicht als andere, herausfordernde Aspekte. Tatsache sei nämlich, dass die Menschen auch nach ganz anderen Kriterien ihr Mobilitätsverhalten anpassen.

    Kontextuelle, individuelle und psychologische Faktoren
    Mobilitätsfachleute sprechen hierbei gerne von der stiefmütterlichen Behandlung «kontextueller Faktoren» wie das Wetter oder der Wochentag und von individuellen Faktoren wie die Art der Aktivität (Freizeit oder Beruf, Einkaufen oder Ausgehen) und die Gewohnheiten. Auch die psychologischen Faktoren wie zum Beispiel das «Freiheitsdenken» oder das Bedürfnis nach grösstmöglicher Flexibilität werden bei der Steuerung der Mobilität durch Behörden und Politik massiv unterschätzt. Ergo: Mobilitätsverhalten basiert auf weit mehr Faktoren als Zeiteffizienz und Kosten. Die Wichtigkeit dieses Umdenkens würde durch die Resultate in der empirischen Verhaltensforschung gestützt und belegt. Nur so könne man systematische Fehleinschätzungen der Wirksamkeit von Preis- und Zeit-Anreizen verhindern. Eine aktuelle Studie zum Mobilitätsverhalten (Autoren: FehrAdvice) zeige zudem deutlich, dass reine Preis- und Zeit-Anreize oft nicht zur beabsichtigten Wirkung führe. Viele zusätzliche Faktoren wie beispielsweise die Bequemlichkeit, die Wetterbedingungen oder die Kombination des Einkaufens mit anderen Tätigkeiten würden das Mobilitätsverhalten markant beeinflussen. Es brauche daher ein fundamentales Umdenken bei der Entwicklung von Anreizsystemen auf der Basis von Verhaltensforschung.

    Das Fazit von Hans Werder, Präsident von AVENIR MOBILITÉ/ZUKUNFT MOBILITÄT: «Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Mobilitätsforschung, in der Mobilitätspolitik und in der Mobilitätspraxis. Es gibt in der Schweiz noch immer Studien, die nur auf Preis- und Zeitfaktoren fokussieren. Es zeigt sich jedoch, dass die Realität viel komplexer ist. Es ist an der Zeit, die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie bei allen Mobilitätsthemen miteinzubeziehen. Zukünftige verkehrspolitische Entscheide müssten auf Evidenz beruhen und nicht auf blossen Annahmen zum menschlichen Verhalten.» (Quelle: Zukunft Mobilität)

    JoW

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