Debatte zum Fremdsprachenkonzept bleibt heiss

    Trotz Bekenntnis zu zwei Fremdsprachen auf Primarschule: Krisenstimmung bei den Lehrpersonen

    Wochenlang war es eines der beherrschenden Themen des Frühsommers 2018 im Kanton Baselland: Will man die zweite Fremdsprache in der Primarschule beibehalten oder nicht? Die Stimmberechtigten haben sich dafür ausgesprochen. Aber die Debatte zum Fremdsprachenkonzept ist damit nicht beigelegt – ganz im Gegenteil.

    (Bild: pixabay.com) Das Fremdsprachenkonzept gibt weiterhin viel zu reden

    Nach wie vor gibt es viel Kritik zum aktuellen Fremdsprachenkonzept und dem so genannten Immersionslernen. In Basel Stadt und Baselland besuchten im Schuljahr 2016-17 erstmals Kinder die Sekundarstufe, die vier Jahre Frühfranzösisch in der Primarschule hinter sich hatten. Bezüglich Umsetzung und Lernerfolg waren die Resultate ernüchternd.

    Frühfranzösisch und Frühenglisch stehen in einigen Kantonen der Schweiz in der Kritik. Der Grund: Die Skepsis gegenüber dem neuen Fremdsprachenkonzept, basierend auf das Immersionslernen (Erklärung, siehe Kastentext auf Seite 3) ist stark verbreitet. Sowohl bei den Eltern wie auch bei einem Teil der Lehrpersonen. Das auf langfristige Lernziele ausgerichtete Konzept stösst seit Jahren nicht auf uneingeschränkten Applaus beim Zielpublikum und der Elternschaft. Warum ist das so?  Viele Eltern der Primarschülerinnen und -schüler machen sich seit der Einführung des neuen Fremdsprachen-Lernkonzeptes «Passepartout» mit dem neuen Französisch-Lehrmittel «Mille feuilles» einige Sorgen um die Lernwirksamkeit und zweifeln an der mittelfristigen Lerneffizienz bei ihren Sprösslingen. Seit einigen Jahren erleben wir eine immer wieder aufflackernde Debatte über den Fremdsprachenunterricht in den Primarschulen. Besonders die Einführung diverser Lehrmittel, die vor allem das interaktive Element betonen, wird in den Schulen von verschiedensten Stellen kritisiert. Es wird beobachtet, wie Primarschülerinnen und -schüler nach zwei bis drei Jahren Unterricht noch immer kaum zusammenhängende Sätze in einer Fremdsprache sprechen, geschweige denn eine Konversation führen könnten.

    Es bleibt dabei: Zwei Fremdsprachen ab Stufe Primarschule
    Nun ist es so, dass die Baselbieter Abstimmung vom 10. Juni 2018 folgendes ergeben hat: Die Primarschulkinder im Kanton Basel-Landschaft werden weiterhin zwei Fremdsprachen lernen und somit wurde die Volksinitiative «Stopp der Überforderung von Schüler/-innen – Eine Fremdsprache auf der Primarstufe genügt» deutlich abgelehnt. Diese hatte verlangt, dass eine zweite Fremdsprache erst ab der Sekundarstufe I unterrichtet wird. Konkret hatte das Begehren gefordert, dass in der Primarschule nur noch Französisch unterrichtet wird. Seit 2014 wird an den Primarschulen im Kanton Basel-Landschaft Französisch und Englisch unterrichtet. Nach Nidwalden (2015), Zürich (Mai 2017) und Luzern (September 2017) ist das Baselbiet der vierte Kanton, dessen Stimmberechtigte an der obligatorischen Schule den bisherigen Fremdsprachenunterricht stützten, wie ihn 23 Kantone umsetzten.

    (Bild: zVg) Der Stein des Anstosses: Die aktuellen Fremdsprachen-Lehrmittel

    Kämpfe für und gegen das Fremdsprachenkonzept «Passepartout»
    Gleichzeitig und begleitend wird natürlich auch intensiv über die Lehrmittel und das Fremdsprachenkonzept diskutiert.  So wurde im Landrat darüber debattiert, ob man das viel kritisierte Fremdsprachenkonzept «Passepartout» und das Französisch-Lehrmittel «Mille Feuilles» fallen lassen soll. Die Primarlehrpersonen zeigten sich darüber erbost: «Mit ungläubigem Staunen und grossem Unverständnis» habe ein grosser Teil der Primarlehrpersonen davon Kenntnis genommen. Der Landrat würde eine jahrelange aufwändige Arbeit zunichte machen, schrieb die Kantonalkonferenz der Baselbieter Primarlehrpersonen in einem offenen Brief an die Ratsmitglieder. Die Kantonalkonferenz forderte in einer Petition den Landrat unter anderem auf, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass zwei Drittel der Lehrpersonen keinen Austritt aus «Passepartout» wünsche. Der Lehrplan für die Primarstufe dürfe deshalb nicht angetastet werden, bis das Projekt «Passepartout» ausgewertet ist. Sie forderte zudem, dass «Mille Feuilles» und «New World» weiterhin als Hauptlehrmittel für den Französisch- respektive Englisch-Unterricht eingesetzt werden dürfen. Der Landrat hat vor ein paar Monaten entschieden, diese zu verbieten. Bei ihrer Stellungnahme stützt sich die Kantonalkonferenz auf eine Umfrage an fast 50 Primarschulen ab, an der sich gegen 600 Lehrpersonen beteiligten. Das Resultat zeige, «dass die Behauptungen in Bezug auf Passepartout, die Mehrsprachigkeitsdidaktik und die infrage stehenden Lehrmittel für die Mehrheit der Primarlehrpersonen so nicht stimmen».

    Bildungskomissionen sagten 2017 noch, Resonanz sei «positiv»
    Nun aber hat man im Kanton Baselland im Landrat den Ausstieg aus dem Projekt Passepartout beschlossen. Im Kanton Solothurn hat Bildungsdirektor Remo Ankli die Notbremse gezogen und das Lehrbuch «Clin d’œil» im obersten Niveau der Sekundarschule aus dem Verkehr gezogen. Im Kanton Bern sind die schriftlichen Französisch-Prüfungen fürs Gymnasium wegen mangelhaften Voraussetzungen abgesagt worden. Baselland, Bern und Wallis beschlossen, die überlang konzipierte Ausbildung für die Lehrkräfte abzukürzen. Eiligst wurden für den Unterricht Zusatzlehrmittel und eine Überarbeitung von «Mille feuilles» in Auftrag gegeben. Und weil der Kanton Wallis nicht warten mochte und Druck machte, wurde den Schulen «als Zwischenlösung», wie es Projektleiter Reto Furter nennt, ein neues Materialset abgegeben. «Dass die Überarbeitung so lange dauert, ist ein Problem», sagte Furter dem «Regionaljournal Bern-Freiburg-Wallis» von Radio SRF.

    Alberto Schneebeli, Leiter Stab Bildung und Projektleiter Bildungsharmonisierung  des Kantons Kanton Basel-Landschaft, betonte jedoch schon im 2016 und 2017, dass die Projektorganisation Bildungsharmonisierung viele positive Rückmeldungen zur Qualität und zu den Rahmenbedingungen für die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer der Primarschule für die Mehrsprachendidaktik Französisch und Englisch erhalten habe: «Auch zu den hohen sprachlichen Anforderungen in Französisch und Englisch für die Lehrerinnen und Lehrer der Primarschule, welche das Fach unterrichten wollen, und den damit verbundenen Fortbildungschancen gibt es eine wohlwollend positive Resonanz. Es sind eher mehr Lehrerinnen und Lehrer, die sich für diese Nachqualifizierungsangebote interessieren, als die Primarschulen für den Unterricht in zwei Fremdsprachen benötigen. Es gibt aus dem direkten Geschehen im Klassenzimmer an der Primarschule positive Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern. Darüber müssten die Medien auch mehr berichten.»

    In Testklassen erprobt, überarbeitet und ergänzt
    Dennoch stellt sich nun die berechtigte Frage: Sind die Schülerinnen und Schüler der Primarstufe beim Übertritt in die nächste Stufe heute weiter in Sachen Fremdsprachen als früher oder fehlt es an der Umsetzung? Im Sommer 2017 wurde die erste Wirksamkeitsstudie «Passepartout» auf der Primarstufe und im 2020 auf der Sekundarstufe in sechs Kantonen durchgeführt. Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit des Fremdsprachenunterrichts mit den neuen Lehrmitteln liegen also voraussichtlich im aktuellen Jahr beziehungsweise im Jahr 2021 vor. Erst zu diesem Zeitpunkt können differenzierte und fundierte Aussagen in Bezug auf die Zielerreichung in Französisch und Englisch gemacht werden», heisst es von Seiten der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion des Kantons Basel-Landschaft. Ähnliches liess auch Simon Thiriet, Leiter Kommunikation des Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt im 2017 schon verlauten. Er bestätigte aber auch, dass nach wie vor speziell das Französischlehrmittel in der Kritik stehe: «Die Lehrmittel Mille feuilles bzw. Clin d’oeil für den Französischunterricht, aber auch New World für den Englischunterricht, wurden in Testklassen erprobt, überarbeitet und, wo möglich, umgehend ergänzt. So erschienen beispielsweise im Laufe des letzten Jahres für Französisch eine ergänzende Lernsoftware für den Alltagswortschatz, Praxishilfen für den Unterricht mit lernschwächeren Schülerinnen und Schülern, ergänzende Unterrichtsmaterialien zu Kommunikationssituationen aus dem Alltag, zusätzliche Arbeitsblätter zur Individualisierung im Unterricht.

    Kritik verstummt nicht – auch nicht von Seiten der Lehrervereine
    Die Kritik verstummt aber kaum. So liess sich beispielsweise Philipp Loretz, ein Französisch-Lehrer an einer Baselbieter Sekundarschule und Vorstandsmitglied des Lehrervereins des kantonalen Lehrerverbandes schon letzten Sommer in den Medien folgendermassen zitieren: Nach vier Jahren Frühfranzösisch sind die Sprachkenntnisse der Schülerinnen und Schüler bescheiden. Den Schülern mangelt es vor allem am Alltagswortschatz. Sie seien es nicht gewohnt, sich mündlich frei zu äussern. Der Lehrerverband hat ausserdem eine Umfrage gemacht unter knapp 50 Sekundarlehrkräften. Sie alle unterrichten Kinder, die frisch von der Primarschule kommen. Die Resultate lassen aufhorchen: 97 Prozent der Lehrer sagen: Ihre Schützlinge hätten nach vier Jahren Frühfranzösisch einen schlechten oder nicht so guten Wortschatz. Eine Umfrage im Nachbarkanton Solothurn hat ähnliche Ergebnisse gezeigt – und auch im Kanton Bern gab es schon ähnliche Kritik. Man darf also gespannt sein, wie das Langzeitkonzept für Fremdsprachen nach dem Immersionslernmuster in den kommenden Jahren anschlägt und was mit dem Fremdsprachenkonzept passieren wird. Im August 2018 werden dann wieder neue Klassen in die Sekundarstufe eintreten und weitere Reaktionen sind zu erwarten.

    JoW, div. Quellen

    Vorheriger ArtikelWenig Wein aber gute Aussichten
    Nächster ArtikelSelber schuld?